Seit Jahren schon warnen Forscher vor der größer werdenden Menge an Medikamentenrückständen im Trinkwasser. Bisher wurden diese Warnungen jedoch oft überhört. Neue Studien zeigen nun, wie drastisch die Verunreinigungen geworden sind und dass Medikamentenrückstände fast flächendeckend in Wasserproben nachgewiesen werden können. Obendrein alarmierend ist, dass durch den demographischen Wandel bedingt, dieses Problem noch größer zu werden droht: nach Studien des BDEW steigt bis 2045 der Arzneimittelkonsum um ca. 70% an, da der Anteil der über 60-Jährigen an der Gesamtbevölkerung stetig wächst.1
Wie gelangen Medikamentenrückstände ins Trinkwasser?
Mittlerweile werden vor allem in Großstädten oder in der Nähe von Kliniken regelmäßig Wasserproben auf Verunreinigungen durch Medikamente von der Umweltbehörde oder staatlichen Prüfern untersucht. Hier zeigen sich leider erschreckende Ergebnisse.
Vier Wege, wie Medikamente ins Wasser geraten:
- Entsorgung in Privathaushalten
- Entsorgung in Pflegeanstalten und Krankenhäuser
- menschliche Ausscheidung
- tierische Ausscheidung in Massentierhaltungen
Nach derzeitigem Kenntnisstand ist ein Großteil der Verunreinigungen darauf zurückzuführen, dass Privatpersonen abgelaufene Medikamente in der Toilette oder dem Waschbecken loszuwerden versuchen, anstatt sie – wie vorgeschrieben – in den Restmüll zu entsorgen. Pflegeanstalten und Krankenhäuser stehen zudem unter erhöhtem Verdacht, regelmäßig größere Menschen Medikamente über den Wasserweg zu entsorgen. Aber auch durch den Urin von Patienten gelangen Arzneimittelrückstände in das Abwasser, das dann wieder zu Trinkwasser aufbereitet wird. Ein dritter Weg der Medikamente ins Wasser ist der über die Massentierhaltung. All diese Medikamentenrückstände gelangen so auf unterschiedlichsten Wegen in den städtischen Wasserkreislauf. Das Problem dabei ist, dass die Klärwerke, die für die Reinigung des Wassers zuständig sind, manche der enthaltenen Stoffe nicht herausfiltern können. Dies kann passieren, da die Filter der Anlagen beispielsweise nicht fein genug sind, um auch die extrem verdünnten Stoffe herauszulösen. Zwar kann ein Großteil der Medikamentenrückstände aus dem Wasser gefiltert werden, aber es gibt auch einen gewissen Anteil, der wieder in den sauberen Wasserkreislauf zurückgelangt.
Dies belegen etwa die Ergebnisse aus Forschungsprojekten und speziellen Messprogrammen, wie sie das Umweltbundesamt vorlegt: „Länderbehörden zeigen, dass in Deutschland mindestens 414 verschiedene Arzneimittelwirkstoffe, deren Metabolite oder Transformationsprodukte in der Umwelt nachgewiesen wurden. Sie wurden meist in Flüssen, Bächen oder Seen gemessen. In den meisten Fällen liegen die Konzentrationen im Bereich bis 0,1 Mikrogramm pro Liter (µg/l).“3
Welche Medikamente finden sich im Wasserkreislauf?
Häufig in deutschen Gewässern gefundene Arzneistoffe sind:
- Schmerzmittel
- Antibiotika
- Hormone (Östrogene, Gestagene)
- Betablocker
- Kontrastmittel
- Antidepressiva
Beispiel Diclophenac: Mikroschadstoffe im Wasser der Elbe gefunden
An einem Beitrag des Norddeutschen Rundfunks wird deutlich, dass die Problematik von Medikamentenrückständen im Wasser real ist. Im Zuge der Sendung „Tricks mit unserem Wasser“ beauftragte der NDR ein Labor Wasserproben verschiedener Entnahmestellen auf Mikroschadstoffe zu untersuchen. Das Ergebnis: Der Wirkstoff Diclophenac, Bestandteil vieler Schmerztabletten, -salben und -gels, konnte in einem „Klärwerkauslauf in Lübeck (2,27 Mikrogramm pro Liter) und im Wasser der Elbe in Hamburg (0,03 Mikrogramm pro Liter)“ einwandfrei nachgewiesen werden.4
Wasserverschmutzung: vor diesen Herausforderungen stehen die Klärwerke
Damit die Verunreinigung des Trinkwassers durch Arzneimittel gesenkt werden kann, sieht die EU die Klärwerke in der Pflicht und beschließt strengere Auflagen: Die Wasserrahmenrichtlinie der EU sieht eine weitere Reinigungsstufe zum Herausfiltern vor. Einen verbindlichen gesetzlichen Rahmen hierzu gibt es noch nicht, der zugehörige Gesetzesentwurf ist noch in Bearbeitung. Verschiedene Verbände, etwa der Wupperverband und der Aggerverband, beschäftigen sich derzeit mit den möglichen Methoden für eine verbesserte Filterung zur Entfernung gefährlicher Medikamentenrückstände. Die Wasserverbände stehen diesbezüglich nicht nur vor offenen Fragen, sondern sehen in den verschärften Vorschriften auch nicht die gleiche Notwendigkeit. Auch die Kostenfrage spielt hierbei eine Rolle. Denn die aktuell diskutierten Filtermethoden würden die Klärwerke finanziell schwer belasten. Schlussendlich müssten die Kosten auf die Verbraucher umgelegt werden. Skeptische Stimmen sind jedoch der Ansicht, dieses Geld könne an anderer Stelle sinnvoller investiert werden.
Darüber hinaus machen nicht nur Medikamentenrückstände im Wasser Probleme. Auch Pflege- und Reinigungsprodukte hinterlassen zum Teil hartnäckige Überreste, die bei der Aufbereitung von Abwasser Schwierigkeiten bereiten. In erster Instanz leiden unter der Wasserverschmutzung durch uns Menschen jedoch nicht wir selbst, sondern die Tier- und Umwelt – nämlich wenn aufbereitetes Abwasser in den Wasserkreislauf übergeht.
Warum sind Medikamentenrückstände im Wasser gefährlich?
Die langfristigen Risiken, die von den Medikamentenrückständen auf den Menschen ausgehen, lassen sich noch nicht in allen Aspekten darstellen. Man geht bisher davon aus, dass die Konzentration noch zu gering ist, um dem Menschen gefährlich zu werden.3 Die Wiederaufnahme nicht vollständig aufgelöster Medikamente über das Grundwasser kann jedoch zur erneuten Einwirkung auf den Menschen führen. Besonders problematisch wird dies, wenn es zu Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten kommt. Vor allem für ältere Menschen, Kranke und Kinder kann die Wirkung unbekannter Stoffe in unbestimmbaren Mengen zu Gesundheitsbeeinträchtigungen führen. Antibiotika-Rückstände führen langfristig dazu, dass die Mittel im Ernstfall nicht mehr wirken.1 Hierzu fehlen allerdings noch aussagekräftige Langzeitstudien, da die Erforschung der Auswirkungen europaweit noch viel zu wenig vorangetrieben wird.
Bekannt ist lediglich, dass einige im Grundwasser verbleibende Arzneimittel die Tier- und Umwelt belasten können, so etwa bestimmte Schmerzmittel als auch die Anti-Babypille.
Auswirkung von Medikamentenrückständen auf die Tier- und Umwelt
Wie bedeutend die Veränderung lebender Organismen durch Arzneimittelrückstände sein kann, zeigt sich beispielweise an Fischen. Zahlreiche Studien konnten belegen, dass Östrogene und Stoffe mit ähnlicher Wirkung einen feminisierenden Effekt auf das Unterwasserleben haben können.5 In stark durch die Antibabypille und Postmenopausal-Präparate verschmutzten Gewässern konnte man feststellen, dass das Verhältnis von männlichen zu weiblichen Tieren in Disbalance geraten war. Zudem waren hier mehr intersexuelle Fische (Fische mit Charakteristika beider Geschlechter) zu finden.
Auch die Diclophenac-Reste stellen womöglich eine Gefahr für das Fischleben dar. Eine Studie wies nach, dass ab einer Diclophenac-Konzentration von 1 Mikrogramm pro Liter Wasser Nierenschäden bei Regenforellen auftreten2 Laut Umweltbundesamt liege die Konzentration bei der noch keinerlei Effekte auf das Ökosystem auftreten sogar nur bei 0,05 Mikrogramm pro Liter.2
Was lässt sich gegen Medikamente im Wasser tun?
Die über die Ausscheidung ins Wasser geratenen Medikamentenrückstände lassen sich nur schwer vermeiden. Viel fataler jedoch sind die Folgen der Entsorgung von Arzneiabfällen in der Toilette. Umweltbehörden, Wasserwerke und die Apothekenkammer raten klar dazu, abgelaufene oder unbenutzte Medikamente nur über den Restmüll zu entsorgen. Dort werden sie wie anderer Abfall in den Müllverbrennungswerken vernichtet und sämtliche Wirkstoffe werden restlos verbrannt, sodass sie nicht in das Grund- oder Trinkwasser gelangen können.
Wasserversorger mahnen zudem schon seit Jahren, dass Arzneimittelhersteller bereits bei der Produktion darauf achten müssten, wie Medikamente und ihre Inhaltsstoffe sich später auf die Umwelt auswirken. Der BAH (Bundesverband der Arzneimittelhersteller) führt jedoch an, „dass die Wirkstoffe von Arzneimitteln nur etwa zwei Prozent aller in Spuren nachweisbaren chemischen Substanzen im Abwasser ausmachten“2 und beruft sich auf verschiedene Studien, die schlussfolgern, dass es aufgrund der sehr niedrigen Konzentrationen sehr unwahrscheinlich sei, dass die menschliche Gesundheit beeinträchtigt würde.
Politik gegen Medikamentenrückstände im Wasser
Arzneimittel haben einen ökologischen Fußabdruck. Bei einigen Herstellern ist das Bewusstsein, dass es Nachhaltigkeit und ökologisches Wirtschaften in der Pharmabranche genauso sehr braucht wie beispielsweise in der Lebensmittelindustrie, bereits in den Fokus der Unternehmensstrategie gerückt. Diese Unternehmen werden mit dem sogenannten B-Corp-Zertifikat6 für verantwortungsbewusstes, ökologisch nachhaltiges und sozial faires Wirtschaften ausgezeichnet. Durch derlei Label wird für Verbraucher sichtbar gekennzeichnet, welche Medikamente ökologisch produziert werden.
Wasserversorger plädieren insgesamt für mehr Transparenz in diesem Sektor. Eine Idee ist eine „Umweltverträglichkeitsampel“ auf Arzneimittelverpackungen,2 die den Konsumenten aufzeigt, wie verträglich das eingenommene Medikament für die Umwelt ist. Eine Hoffnung hierbei ist auch, dass Empfehlende, also medizinisches und Apothekenfachpersonal, wenn sie die Wahl zwischen zwei gleichwertigen Präparaten haben, sich für das Mittel mit der besseren Abbaubarkeit entscheiden.
Im Juni 2021 wurden zudem bei dem 3. Nationalen Wasserforum im Rahmen einer neuen Nationalen Wasserstrategie „Handlungsoptionen und Aktionsfelder für die künftige Entwicklung der deutschen Wasserwirtschaft sowie den Umgang mit Wasser und Gewässern erarbeitet.“7
Trinkwasser auf Medikamente testen?
Aktuell sind in Deutschland mehr als 100.000 Medikamente zugelassen, daher macht es nur wenig Sinn auf einzelne Substanzen zu testen. Einen Wassertest um die gängigsten Verunreinigungen im Leitungswasser zu testen, findet ihr in unserem IVARIO Wassertest Shop. Um konkret auf Arzneimittelrückstände im Wasser zu testen, gibt es im IVARIO-Sortiment einen Arzneimittel Wassertest.
1 Liebrich, Silvia (2017, 2. September): Stadtwerke warnen vor Medikamenten im Wasser. http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/medikamente-stadtwerke-warnen-vor-medikamenten-im-wasser-1.3649266, letzter Zugriff 5.11.2022
2 https://www.verbraucherzentrale.de/wissen/umwelt-haushalt/wasser/sind-pestizide-und-medikamente-im-leitungswasser-34837, letzter Zugriff 5.11.2022
3 https://www.umweltbundesamt.de/daten/chemikalien/arzneimittelrueckstaende-in-der-umwelt#arzneimittelwirkstoffe-in-der-umwelt, letzter Zugriff 5.11.2022
4 https://www.ndr.de/ratgeber/verbraucher/Medikamentenrueckstaende-im-Wasser-Eine-Gefahr,wasser710.html, letzter Zugriff 5.11.2022
5 https://www.health.harvard.edu/newsletter_article/drugs-in-the-water, letzter Zugriff 5.11.2022.
6 https://www.bcorporation.de, letzter Zugriff 5.11.2022
7 https://www.bmuv.de/wasserdialog/, letzter Zugriff 5.11.2022